Der Eastern & Oriental Express von Bangkok nach Singapur ist ein kommerzieller Renner. Nostalgie laesst die Kasse klingeln. Der Erfolg wird beguenstigt von dem Ruf der rollenden Legende, dem Train Express d'Orient von Paris nach Istanbul, bekannter unter dem Namen Orient-Express.
Europaeische Veranstalter vermarkten die Abteile fuer Asienpanorama wie knallbunte Appetizer als Pauschalreisen oder individuelle Bausteine im Programm. Geballt haeufen sich alle Klischees der Touristikbranche als faszinierende Stationen einer unvergesslichen Traumreise. Ist die nostalgische Bahnfahrt im Nobelzug tatsaechlich die luxerioeseste und komfortabelste Art, ein Stueck Suedostasien kennenzulernen?
Sicher beherrscht gediegener Luxus im kolonialen Stil der dreissiger Jahre das Interieur des Zuges. Lack und Thai-Schnitzereien verzieren die Speise-, Art-Deco den Barwagen, in den Kabinen dominiert Belle Epoque. Viel Messing, viel Holz, viele Spiegel in einer Mischung von Noblesse und Understatement, nicht historisch, kaum kitschig. "In seinem Moosgruen und mit den dezenten Messingbeschlaegen wirkt er unauffaellig und doch so edel." Sprache umflort wie das Wissen, das den Ortsnamen auf den Waggons Romantik verleiht. Man kann die Kabinen als Kuscheloasen bezeichnen und das Bad als Wunder der Raumaufteilung - wenn man bei mangelndem Stauraum die Koffer aus der Dusche auf die Betten wirft, falls man duschen will. Aber wo die tropische Schwuele die Haut umschmiegt wie wohltuender Balsam, wird man darauf verzichten.
Die Informationsbroschuere ist im zugbeherrschenden Beige und Gruen mit Gold gehalten und empfiehlt: "Das Ambiente an Bord bietet eine phantastische Gelegenheit, sich entsprechend stilvoll zu kleiden." Doch Eleganz haelt sich in Grenzen, wenn sich zwei Partner im Abteil gleichzeitig umkleiden wollen. Entweicht man auf den Gang des Schmalspurwagens, lernt man Mitreisende hautnah kennen und kann, je nach Temperament, die in der Kabine eingeuebte Koerperbeherrschung vervollkommnen.
Von Service verstehen die Deutschen nicht viel, ist doch ein Kunde in der Heimat das unbekannte Wesen. Ganz anders im E & O: Jeder Gast wird vom Steward in Empfang genommen und in seine Kabine gefuehrt, die Serviertoechter knieen auf den Teppichboeden, schenken duftenden Darjeeling-Tee aus silbernen Kaennchen ein und ruecken die Konfekt-Tellerchen zurecht, abends bittet der Kuechenchef zum ueppigen Finale. Wer den erlesenen Menuevorschlag nicht akzeptiert, kann lukullisch `a la carte speisen. Kein Wehlaut, dass die Kolonialzeiten vorbei sind. Nun werden multikulturelle Faehigkeiten optimal genutzt: Thais fuer den Service, Malayen fuer die Kueche, Singapurer fuer die Abrechnung und ein Deutscher als Zugfuehrer.
Leicht gesagt, einmal Singapur und zurueck. Der E & O ist zwar nicht wie sein aelteren Bruder auf der steilsten Eisenbahn Europas, der Glacier-Express, der langsamste Schnellzug der Welt, aber 1.943 Kilometer in 42 Stunden sind auch kein Hit. Das eintoenige Geratter auf unverschweissten Schienen bereitet der Luxusreise nicht nur genussvolle Stunden, und die vollklimatisierte Wohligkeit entpuppt sich bisweilen schlicht als arktische Kaelte. Die Welt da draussen mag fuer Neulinge wie ein exotischer Film vorueberziehen, der Dschungel ist bis auf Restbestaende laengst abgeholzt. Nur Unbedarften kann man verkaufen, dass sich hinter dem offenen Aussichtswagen der Regenwald teilt. Weil in Butterworth zwei Stunden lang rangiert werden muss, flanieren Schoenschreiber "durch Georgetown ... und lassen sich von einer Fahrrad-Rikscha zurueck zur Faehranlegestelle bringen." Wen wundert's bei so viel Nonsens, dass "zwei Äffchen es sich auf einem Strommast bequem gemacht haben und verbluefft hinterherschauen."
Die Geschichte des Orient-Express ist hundert Jahre alt. Den E & O als neuesten Spross seit 1993 verdanken wir der Leidenschaft des britischen Millionaers James Sherwood. Seine Venice Simplon-Orient-Express-Gesellschaft faehrt ihm mit dem "Glacier" trotz aller Unkenrufe, die sein kostspieliges Unternehmen begleiteten, seit 1982 viel Geld ein. Der clevere Geschaeftsmann mit dem richtigen Instinkt erzielt aus seinem Hobby satte Gewinne.
Der Amerikaner George Mortimer Pullman hat den sleeping car erfunden, der belgische Ingenieur Georges Lambert Casimir Nagelmackers die geschlossene Wohn-/Schlafkabine auf Raedern. 1872 verwirklicht er seinen Traum vom perfekten Verkehrssystem in Europa mit der Schlafwagenroute Paris - Wien. Einige Jahre spaeter beweist er mit dem ersten Speisewagen nach amerikanischem Vorbild sicheres Gespuer fuer Kundenwuensche. Die Reisenden schwelgen in Luxus; Nagelmackers weiss, wie man sie rundherum zufriedenstellt. Seine Compagnie des Wagons-Lits expandiert zur Internationale des Wagons-Lits. Mit der neuen Idee, ein Luxushotel aus Speise-, Schlaf- und Gepaeckwagen auf die Raeder zu stellen, landet er seinen erfolgreichsten Coup. Der Orient-Express als Vorbild aller kuenftigen Expresszuege in Europa verlaesst jeden Dienstag und Freitag um 19,30 Uhr Paris und laeuft nach 81 Stunden und 30 Minuten in Konstantinopel ein.
Das blau-goldene Luxusgefaehrt glaenzt bald mit schillernden Namen wie Mata Hari und Garbo, Caruso und Dietrich. Der Treffpunkt von High-Society und Halbwelt reizt AutorInnen wie Agatha Christie und Graham Greene, wird Glitzer- und Glamour-Buehne fuer Regisseure wie Hitchcock und Lumet. Aber 1977 faehrt der Zug mangels Masse auf's Abstellgleis. Sherwood entdeckt in Monte Carlo alte Luxuswagen und erwirbt zusaetzlich einige Pullman-Waggons. Er laesst sie fuer 40 Mio Mark originalgetreu restaurieren - und der "Glacier" mit Alpenpanorama uebernimmt das Fluidum des Istanbul-Expresses.
Sherwood benoetigt sechs Jahre, um seine neue Privatbahn von Bangkok nach Singapur gegen die suedostasiatische Buerokratie durchzudruecken. Die fuer 20 Mio Mark renovierten neuseelaendischen Waggons haben keine existentielle Bedeutung. Wenn man von Indien sagt, es koenne ohne Eisenbahn nicht bestehen, weil das billigste Transportmittel zum alltaeglichen Leben gehoert, ist die suedostasiatische Nostalgie-Variante nur ein Spielzeug fuer betuchte Urlauber von ueberall her. Die gekonnte Marketing-Masche beweist IC-geschaedigten Deutschen, dass Kundenorientierung keine leere Worthuelse sein muss. Der Funke legendaeren Flairs springt nicht ueber, das Feeling einer zerstoerten Landschaft eroeffnet einigen Passagieren gaehnende Langeweile, anderen "fantastische Eindruecke der verschiedenen Landschaftsformen und Regionen".
Wer den asiatischen Menschen kennenlernen will, muss umsteigen auf die funktionierende Anarchie der Staatsbahnen. Bei ihnen spielt es bisweilen keine Rolle, ob man eine Stunde frueher oder spaeter ankommt. Aber das Erlebnis Mensch entschaedigt neben der Ersparnis in der Geldboerse.
Informationen Der Eastern & Oriental Express verkehrt von Bangkok Hualamphong ueber Hua Hin, Surat Thani, Hat Yai, Padang Besar, Butterworth, Taiping, Kuala Lumpur in der Woche regelmaessig nach Singapur und umkehrt. Man kann an allen Haupthaltestationen zu- oder aussteigen. Der Zug besteht durchweg aus 13 Schlaf-, 2 Restaurant-, 1 Bar-, 1 Salon- und Aussichtswagen. Man kann zwischen 3 Abteil-Kategorien waehlen. Alle Mahlzeiten an Bord - ausgenommen `a la carte, Getraenke separat - und Ausflug nach Penang sind im Reisepreis enthalten, Zahlungsmittel im Zug: US-, Singapur-Dollar, alle gaengigen Kreditkarten und US-Dollar-Reiseschecks. Preise schwanken je Saison im Standard-Doppelabteil, im State Compartment und in der Presidential Suite. Ausserdem gibt es Einzelkabinen. An die empfohlene "Bordbekleidung" haelt sich in der Praxis kaum jemand, leichte Baumwollkleidung und feste Schuhe sind ratsam. Groessere Reiseveranstalter fuehren den E & O im Angebot und unterrichten ueber Termine & Fahrplan.
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