Lust und Last der Lemminge Von Heinz & Rainer Pollmeier
Trotz Rezession und Krisen geben die Deutschen fuer Auslandsreisen immer mehr Geld aus. Nach den Terroranschlaegen profitiert zunaechst das Reiseziel Europa, aber bei zunehmender "Jetzt erst recht"-Mentalitaet rangiert Thailand unter den asiatischen Urlaubslaendern wieder auf den ersten Plaetzen. Thai International hat sein Angebot bereits aufgestockt.
Wir sind allerdings kaum darueber informiert, was Millionen in Ferien und Ferne treibt. Der Massenbewegung wird fast nur mit Vorurteilen begegnet, vorzugsweise mit Tiervergleichen: Dem Touristen wird als dumpfes Herdenwesen schlichtweg die Menschenwuerde abgesprochen. Lebensfreude ist wohl - trotz des Schlagworts von der Fun-Gesellschaft - kein erstrebenswertes Ziel: Die Touris zerstoeren nur die Alpenlandschaft, hausen in Bettenburgen am Mittelmeer und foerdern den Sextourismus nach Thailand.
Weil sich auf Reisen soziale Unterschiede verwischen, fuehlen sich Prestigegruppen immer noch als "bessere" Reisende und werten die anderen als "Neckermaenner" ab. Ihre Blindheit und das Desinteresse werden gescholten: Die einen, Badeurlauber, reduzieren angeblich das Land auf Meer, Liegestuhl und Diskothek, die anderen, die Kulturtouristen, folgen vorgepraegten und eingefahrenen Vorstellungen.
Tourismus ist "das Thema des naechsten Jahrhunderts", sagt der Unesco-Berater Daniel Goeudevert, ehemaliger Topmanager bei Ford und VW, "und niemand findet zur Zeit eine Loesung. Alle sind hin- und hergerissen zwischen dem schnellen Profit einerseits und dem Respekt vor den anderen Kulturen andererseits." Aber dann erhebt er in einem Interview der Frankfurter Rundschau den Zeigefinger und macht spuerbar, nur der Kritiker selbst hat die richtige Einstellung zur Fremde. "Touristen aber - und das ist das, worueber ich mich und wahrscheinlich so viele andere auch, so aergere - Touristen haben keinen Respekt vor anderen. Sie kommen, haben was bezahlt und wollen fuer die Bezahlung ihrrer Reise einen Gegenwert. Ob das alles naturschaedigend wirkt oder die Kultur anderer Menschern zerstoert, darum kuemmert sich keiner."
Goeudevert will z. B. bei einem Projekt in Guatemala Tourismus anders gestalten und meint, er koenne den Staat und die Mehrheit der Indianer zu einer Tourismus-Bewegung bringen, die Industrie, Handel, Kommunikation und Tourismus miteinander verbindet. Dann hat "Tourismus eine enorme Zukunft und die Dritte Welt wird davon profitieren ohne Schaden", sagt Goeudevert. "Aber diese Verbindung stellt bislang keiner her. Wonach man zur Zeit strebt, ist, soweit wie moeglich ueberall billige Grundstuecke zusammenzukaufen, Hotels darauf zu errichten, und die Menschen zu Spottpreisen einzuladen, weil das Land billig ist."
Es bleibt zu hoffen, dass er sich nicht irrt. Denn die Tourismuswissenschaft stockt. Wir kennen Analysen von Reisestroemen und Urlaubspraeferenzen, aber ueber die Motive des Reisens erfahren wir wenig. Es gibt nicht einmal Grundlagenarbeiten fuer eine Theorie des Tourismus. Reiseverhalten wurde bisher nicht exakt und systematisch analysiert, in allen gutgemeinten Versuchen verbleiben Leerstellen, die meist mit Klischees zugekleistert werden.
Betrachten wir doch einmal unsere eigenen Fotos und Dias! Die malerischen, romantischen, folkloristisch-pittoresken Blickwinkel gewinnen mit grossem Abstand den Wettlauf vor Motiven aus Technik, Verkehr, Wirtschaft oder Schnappschuessen des Alltags, der Arbeit oder Armut. Wir klammern Hektik, Hunger und Kriminalitaet aus, in "Urlaubsparadiesen" sind Aktentaschen, Maschinen oder Schweissperlen verpoent. In Reiseprospekten und -buechern finden wir unsere Motivwahl bestaetigt. Das fremde Land wir umgearbeitet, veredelt oder manipuliert nach vorgegebenen oder eigenen Beduerfnissen. Nicht Erkenntnis, sondern Erleben ist offensichtlich der Touristen Ziel. Der Soziologe und Publizist Christoph Henning sagt: "Das Erleben fiktiver Raeume ... ist in allen Kulturen verbreitet; diese Erfahrung scheint zu den menschlichen Grundbeduerfnissen zu gehoeren... Der Tourismus kann daher, im Unterschied zur Kunst, nicht grundsaetzlich Freiheit von aeusseren Zwaengen beanspruchen. Ein verantwortungsvoller, zurueckhaltender Umgang mit der fremden Welt ist unerlaesslich; und fuer einen solchen Zugang sind Kenntnisse ueber das fremde Land durchaus sinnvoll. Doch bleiben sie Hilfsmittel, nicht wesentlicher Zweck des modernen Reisens."
Auch eine oekologische Wende ist im Tourismus noch laengst nicht in Sicht. Denn eine Untersuchung des psychologischen Instituts der Universitaet Bern hat herausgefunden, dass umweltspezifisches Wissen gerade bei Personen, die auf Technik und Wissenschaft bauen, keine bedeutsame Voraussetzung fuer umweltgerechtes Handeln ist. Hansruedi Mueller, Professor am Forschungsinstitut fuer Freizeit und Tourismus dieser Uni, setzt auf einen "reflektierenden Umgang mit den Vor- und Nachteilen des Tourismus, der nicht auf seinen wirtschaftlichen Stellenwert reduziert, sondern auf seinen lebensweltlichen Bezug erweitert wird."
In diese Richtung zielt auch der ruehrige Studienkreis fuer Tourismus und Entwicklung im Ammerland. Ein Tourismus mit Zukunft muss sich fuer die Bevoelkerung in den Zielgebieten in einer ganzheitlichen, sozial- und umweltvertraeglichen Form entwickeln. Nur dann werden die "gastgebenden" Einheimischen ihn auf Dauer billigen. Der Studienkreis schreibt von Zeit zu Zeit Wettbewerbe fuer sozialverantwortlichen Tourismus aus, der sich an oeffentliche Institutionen und private Unternehmen im In- und Ausland wendet, die fuer tourismusrelevante Projekte und Massnahmen verantwortlich sind. Das koennen Aktivitaeten sein, die das Bewusstsein der Ortsansaessigen ueber Chancen und Gefahren touristischer Entwicklung fuer ihren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Alltag foerdern, es koennen auch neue Wege fuer partnerschaftliche Kooperation zwischen Touristikern und Bereisten sein. Dann wird sich erweisen, ob gute Vorbilder ueberhaupt das Handeln im Tourismus beeinflussen.
Der Studienkreis verdient ohnehin Beachtung: Er leistet mit seinen Sympathie Magazinen einen konkreten Beitrag zur Verstaendnis- und Sympathiewerbung fuer Reiselaender und ihre Menschen.
Mit dem Heft "Thailand verstehen" beispielsweise wird der Reisende ermutigt, "seinen touristischen Aufenthalt auch als Chance zu nutzen fuer einen Blick hinter die glitzernden Fassaden der Tempel. Denn hier, so meinen die Autoren, liegt das eigentliche Thailand: Der Alltag eines 60-Millionen Volkes, das zu drei Vierteln in Doerfern lebt, der Alltag von Menschen, deren uns fremd erscheinende Lebens- und Verhaltensweisen tief verwurzelt sind in einer jahrhundertealten kulturellen Tradition." Durch die informative, unterhaltsame und sympathische Einstimmung auf Thailand sollen Missverstaendnisse und Vorurteile abgebaut und Voraussetzungen geschaffen werden, andere gesellschaftliche Gegebenheiten und Wertvorstellungen - also auch ein Knigge fuer viele Politiker(!) - besser zu verstehen und zu respektieren. Das Magazin ersetzt keinen guten - vergessen wir einmal den nur an der 'schnellen Mark' interessierten Schund - Reisefuehrer, ergaenzt ihn aber.
Damit treffen die thailaendischen und deutschen Autoren genau den Sinngehalt eines thailaendischen Sprichwortes zu Formen menschlichen Umgangs:
"Zerbreche nicht den Lotus und wuehle nicht das Wasser auf!"
Wie leicht zerdrueckt man beim Pfluecken eine Bluete und verschlammt das klare Wasser. Treten wir anderen Menschen behutsam nahe, achten wir ihre Gefuehle und verzichten wir auf Gewalt! Chok Dee - gute Reise!
Info: Das Sympathie Magazin "Thailand verstehen" erhalten Sie bei vorheriger Einsendung eines Verrechnungsschecks fuer DM 6,50 bei: Studienkreis fuer Tourismus und Entwicklung e.V., Kapellenweg 3, D-82541 Ammerland/Starnberger See.
|